Eric Boissenot - Yves Beck - Bordeaux 2019

Bordeaux 2019 – Yves Becks Einschätzung in einem Interview mit France 3

Bordeaux 2019 – Titelbild: Eric Boissenot und Yves Beck bei der Verkostung am 10. März 2020

Der Journalist Jean-Pierre Stahl, der u.a. für den Sender „France 3 Régions“ arbeitet, leitet auch den Blog Côté Châteaux. Kürzlich interviewte er Yves Beck über Bordeaux 2019 und die Weine, die „En Primeur“ verkostet wurden.

Seit dem 28. Februar in Bordeaux

Jean-Pierre Stahl (JPS): « Hallo Yves Beck, Sie sind seit Beginn des Lockdown in Bordeaux einquartiert und sogar schon länger. »

Yves Beck« Ich kam am 28. Februar an, um mit Schweizer Kunden eine Reise zu unternehmen und Weingüter zu besuchen. Anstatt nach der Weinreise wieder in die Schweiz zurückzukehren, habe ich am 6. März mit der Verkostung der 2019er Bordeaux begonnen. Es war ein wenig früher als sonst. Dies ermöglichte es mir, vor dem Lockdown eine ganze Reihe von Weinen zu verkosten, zwischen 200 und 250 ».

Rückkehr in die Schweiz = Quarantäne

« Ab dem 17. März änderte sich die Ausgangslage: wäre ich in die Schweiz zurückgekehrt, hätte ich in Quarantäne gehen müssen (weil ich aus Frankreich kam), und meine Frau, die als Krankenschwester tätig ist, hätte nicht mehr zur Arbeit gehen können.

Es erschien uns sinnvoller, dass ich in Frankreich bleibe. Das hat sich herumgesprochen, und einige befreundete Önologen ließen Fassmuster nach Saint-Emilion, ins Château La Voûte, schicken »

Verkostung an einem einzigen Ort

JPS: « Sie sind ja „eingesperrt“ und auf die Verkostung beschränkt, das ist ungewöhnlich… aber mit besonderen Verkostungsbedingungen? »

Yves Beck: « Die Bedingungen sind eigentlich optimal. Wir erhalten die Proben, die die Leute vor dem Eingangstor deponieren. Wir benutzen Handschuhe und lagern die Fassproben für mindestens 24 Stunden im Keller. Sie werden bei maximal 13-14° gelagert. »

Was die Verkostung anbelangt, so ist sie wirklich klasse; ich bin allein an einem Ort,
auch wenn es keine Arbeitsmethode ist, die mir gefällt, weil ich normalerweise die
Leute treffen möchte, die den Wein keltern. Ich verstehe aber einige Kritiker, die
stets so arbeiten; es ist praktisch, effizient und nicht schlecht hinsichtlich der Ruhe.

 

Lockdown Regeln und UGCB Richtlinien eingehalten

JPS: « Was sagen Sie gegenüber den Verleumdern, die behaupten könnten, Yves Beck habe sich nicht an den Lockdown Regeln gehalten? Sind Sie die ganze Zeit auf La Voûte geblieben? »

Yves Beck« Selbstverständlich! Seit dem 17. März habe ich Château La Voûte nicht mehr verlassen. Wenn überhaupt, dann nur, um einzukaufen oder ein wenig spazieren zu gehen, und dabei immer mit meiner Sondergenehmigung, die man selber unterschreibt. Also, zusammengefasst, halte ich mich völlig an die Regeln, das ist auch normal so. »

« Und ich halte mich auch an die Richtlinien der Union des Grands Crus de Bordeaux (UGCB). Ich habe Weine von gut einem Drittel der Mitglieder der UGCB verkostet; ich wurde gefragt und nicht aufgefordert, ob ich einverstanden sei, meine Kommentare und Notizen nicht zu veröffentlichen, was ich auch tat. Aber wenn mich ein Château um meine Kommentare und Notizen bittet, gebe ich sie ihm, was dann damit geschieht, ist nicht meine Sache. Außerdem habe ich alle UGCB-Weine, vor der Einführung der Richtlinien der UGCB verkostet. Ohne die Weine der Union wurden mir 638 Weine (Mittlerweile über 700) zur Verkostung gegeben; das zeigt schon, wie groß das Bedürfnis der Produzenten ist, ihre Weine zu zeigen… »

Überall gute Weine

JPS: « Wie denken Sie über 2019? »

Yves Beck: « Mit Bordeaux 2019 sind in allen Regionen gute Weine vorhanden. Saint-Emilion und Saint-Estèphe ragen heraus. Dies ist ein sehr wichtiger Indikator, ob es sich um einen Medoc, einen Entre-Deux-Mers, einen Fronsac, einen Pauillac handelt, sowohl in weiß als auch in rot, ob trocken oder süß… »

Wenn man so viel Homogenität hat, hat man es mit einem großen
Jahrganz zu tun; kein hervorragender Jahrgang, aber ein großer.

 

Schon wieder Endziffer 9

JPS: « Es ist ein Jahrgang mit Endziffer 9, und oft sind diese 9er Jahre gut bis sehr gut gelungen… »

Yves Beck : « Absolut, wenn wir auf die 99er zurückblicken, war es ein gutes Jahr für die Frische; 2009 war ein warmes Jahr mit cremigen, vollmundigen, charmanten und tanninhaltigen Weinen…»

Was 2019 auszeichnet, liegt darin begründet, dass er viel mehr
Körper als 1999 und mehr Frische als 2009 hat…

 

Trockenstress

JPS: « Was hat die Dürre im Jahr 2019 für eine Rolle gespielt? »

Yves Beck: « Eine sehr große. Es ist eindeutig, dass die Kalkstein-Terroirs ihre Trümpfe ausgespielt haben. Sie sind es, die den Wasserstress am besten bewältigen. Saint-Emilion hat von seinem Kalkstein-Terroir profitiert, genau wie Fronsac… »

« Schaut man in Richtung Saint-Estèphe, haben die Cabernet Sauvignons eine perfekte Reife erreicht, und wenn Cabernet perfekt reift, wird es schwierig, ihn zu übertreffen. Saint-Estèphe 2019 wird für große Weine sorgen … In Pomerol war es mit den sandigen Böden etwas komplizierter, aber die Lehmanteile haben für Balance gesorgt, es ist jedoch unregelmäßiger als sonst.

Zusammengefasst kann man sagen, dass die Cabernet-Sauvignon-Trauben
am linken Ufer perfekt gereift sind, während die Kalkstein-Terroirs in
St-Emilion und Fronsac den Wassermangel gut beherrscht haben.
Das ergibt eine schöne Komplementarität.

 

Der Regen kam, als es dringend notwendig war

JPS: « Kann man sagen, dass dies ein Jahrgang ist, der dank dem Regen im August und September vor der Hitzewelle gerettet wurde? »

Yves Beck: « Die Regenfälle im August waren heilsam, man hatte den Eindruck, dass das Wetter wie eine Schweizer Uhr eingestellt war. Hätte es diese Episoden nicht gegeben, wäre es sehr kompliziert gewesen, es hätte an Frische und Balance gefehlt…»

Die Weine sind rassig und spannungsvoll, aber auch vollmundig
und ausgeglichen. Das maßgebliche Element ist die Frische.

 

638 Weinbewertungen am 18. April veröffentlicht

JPS: « Sie haben Ihre Notizen und Kommentare bereits veröffentlicht…? »

Yves Beck: « Am 18. April habe ich ein erstes Verkostungsheft mit 638 Weinen veröffentlicht. Der größte Teil ist geschafft, ich wollte nicht länger warten. Aber ich habe bereits etwa fünfzig weitere Proben erhalten. Es war ja nicht allen gleich bewusst, dass ich in St-Emilion bin. Es wird ein „Update“ des ersten Heftes geben mit etwa hundert weiteren Notizen und letztendlich mit den Weinen der UGCB, aber ich weiss weder wann noch wo ich diese Weine verkosten werde. Im Augenblick ziehe ich es vor, mich auf das zu konzentrieren, was ich zu tun habe. »


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JPS: « Und Sie bewerten mit einer Skala von 100 Punkten, wie einst Robert Parker. »

Yves Beck« Ja, und bei der Primeurverkostungen arbeite ich stets mit Potenzialnoten; es ist eine Zeitaufnahme, die während des Ausbaus stattfindet. Meine besten Noten erhielten Lafleur (Pomerol) 98-100/100 und Tertre Roteboeuf in Saint-Emilion 98-99/100, aber was mir auch gefällt, ist Château Lousteauneuf, ein Cru Bourgeois, der 95-97 erhält. Dies zeigt einerseits die Fähigkeit des Winzers, große Weine zu produzieren, und auch, anderseits, die Tatsache, dass 2019 insgesamt groß ist.

Ich bewerte zwischen 80 und 100/100, darunter interessiert es eh niemanden und ich bewerte grundsätzlich in einer positiven Logik. Die Kritik steht in der Note, wenn man 90 bekommt, ist es sehr gut, aber es fehlen 10 Punkte um auf 100 zu kommen. Ich bin mehr im Positiven, ich bin nicht daran interessiert, mich mit negativer Kritik zu profilieren, man muss die Weinproduzenten respektieren und das ist mein Ansatz. »

Wenn Ihr Kind 88 Fragen von Hundert richtig beantwortet, kriegt er keine Ohrfeige

JPS: « Es ist aber auch kein Anlass, wo jeder den ersten Preis und hohe Bewertungen erhält …? »

Yves Beck: « Nein, aber wenn Ihr Kind von der Schule nach Hause kommt und Ihnen sagt, dass er von 100 Fragen 88 richtig beantwortet hat, dann kriegt er wohl keine Ohrfeige von Ihnen! Sie sagen zu ihm bravo, es ist gut, denn er kennt den Stoff gut. Aber im Weinmilieu reichen 88 nicht aus; Interesse entsteht erst ab 92 Punkte oder mehr. Es ist schade, aber so ist es nun einmal. Regelmäßig bedanken sich kleinere, nicht sehr bekannte Weinbetriebe bei mir, da ich ihren Wein mit 88 bewertet habe, während bekanntere Betriebe meckern, weil es nur 92 Punkte gegeben hat… »

Solch einen Einfluss wie Parker ihn hatte, wird es nicht mehr geben

JPS: « Verglichen mit Robert Parker, der Herr und Meister über Bordeaux war und der eine große Lücke hinterlassen hat, melden sich heute mehrere Kritiker zu Wort. Haben Sie ihn alle ersetzt? »

Yves Beck« Kurz- und mittelfristig wird es einen solchen Einfluss, wie ihn Robert Parker hatte, nicht mehr geben! Er war mein Idol, als ich ein junger Weinfreak war. Ich war (und bin immer noch) von diesem Typen begeistert: ich kaufte die Weine, die er gut bewertete, habe die verkostet und war beeindruckt. Parker, und meine Liebe zum Wein, haben bestimmt dazu beigetragen, dass ich Weinverkoster und -kritiker geworden bin; aber eine solche Übermacht und Dominanz, das ist gefährlich; damals hat man es im Bordeaux akzeptiert.

Heutzutage gibt es viel mehr Weinverkoster und Verbraucher, die sich
engagieren und kommentieren, es ist demokratischer und vielfältiger
geworden, es gibt fast so viele Verkoster wie Fußballtrainer.

 

James Suckling ist auf vielen Ebenen sehr aktiv, mit amerikanischen, italienischen und Bordeaux-Weinen; er wird in den USA und vor allem in Asien sehr stark verfolgt. Auch Neal Martin ist ein angesehener Influencer oder Jeb Dunnuck in den USA (der sich mehr auf das Rhonetal konzentriert) und dann Lisa Perotti-Brown vom Wine Advocate, was Nappa und Bordeaux angeht.

Buntere und dynamischere Kritikerwelt

Es ist klar, dass der Konsument nach wie vor ein Interesse an Weinbewertungen hat, es ist aber auch grundlegend, verschiedene Stimmen zu hören, und es ist gut, dass diese Kritikerwelt bunter, attraktiver, lustiger und dynamischer geworden ist. Ich bin nicht daran interessiert, ein weltbekannter Kritiker zu sein, denn ich kann von meiner Arbeit leben und bin nach wie vor ein Winelover.

Von der Weinkritik zu leben ist alles andere als selbstverständlich

Es stimmt schon, dass ich in den letzten zwei Jahren an Einfluss gewonnen habe, aber ich habe keine übergroßen Ansprüche. Nur von der Weinkritik zu leben ist alles andere als selbstverständlich, aber ich widme mich ihr zu 100%, denn ich liebe meinen Beruf. »


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